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EuGH-Urteil zum Vorsteuerabzug USt-Karussell - Verfahren Kittel u.a.

Sachverhalt der Ausgangsstreitigkeiten:

Rechtssache C 439/04:

Die Gesellschaft Computime Belgium, die sich in Insolvenz befindet und von Herrn Kittel als Insolvenzverwalter vertreten wird, war im Großhandel mit EDV-Komponenten tätig, die sie in Belgien bezog, um sie in anderen Staaten der Europäischen Union, insbesondere Luxemburg, auszuführen. Der luxemburgische Empfänger leitete die Teile an einen ebenfalls im Großherzogtum ansässigen Dritten weiter, der sie seinerseits wieder in das Nachbarland einführte und an den Lieferanten von Computime lieferte. Dieser Lieferant zahlte nie die Computime in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer, zog aber systematisch die auf ihn übergewälzten Steuerbeträge ab. Nach Ansicht der Cour des Cassation (Kassationsgerichtshof Belgien) wußte Computime von der Manipulation.

Rechtssache C 440/04:

Das Unternehmen Eylane übertrug der Gesellschaft Recolta Recycling Sprl. 18 Luxusfahrzeuge, die es bei dem Unternehmen Automail erworben hatte und vereinnahmte die entsprechende Mehrwertsteuer. Anschließend wurden die Fahrzeuge von Recolta an Automail veräußert, um in anderen Mitgliedsstaaten vertrieben zu werden, was seinerzeit nach dem ehemaligen Art. 43 des Mehrwertsteuergesetz-buches steuerbefreit war. In Wirklichkeit verließen die Fahrzeuge Belgien nicht, sondern wurden in verschiedene Kreise eingeschleust, die auf die Umgehung von Steuerverbindlichkeiten spezialisiert waren. Eylan und Automail wirkten somit zusammen, damit die in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer nicht eingetrieben wurde.

Die Verwaltung verweigerte Computime und Recolta den Vorsteuerabzug und beide fochten die entsprechende Entscheidung an – mit unterschiedlichem Erfolg, da das Tribunal de Premier Instance (erstinstanzliches Gericht) Veroje mit Urteil vom 28. Juli 1999 den Anspruch von Computime zurückwies, während es mit einem anderen Urteil vom 1. Oktober 1996 zugunsten von Recolta entschied. Die Entscheidungen wurden von der Cour de Appelle (Berufungsgericht) Lüttich vom 29. Mai 2002 und 9. November 2001 bestätigt.

Auf die dagegen eingelegten Rechtsmittel hat die Cour des Cassation die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof nach Art. 32 EG folgende Fragen vorgelegt:

  • Wenn die Lieferung von Gegenständen für einen Steuerpflichtigen bestimmt ist, der gutgläubig, ohne Kenntnis von dem durch den Verkäufer begangenen Betrug einen Vertrag geschlossen hat, verbietet es dann der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, daß die Nichtigkeit des Kaufvertrages aufgrund einer Regel des nationalen Zivilrechts, nach der dieser Vertrag insofern, als er wegen eines in der Person des Verkäufers vorliegenden gesetzeswidrigen Grundes gegen die öffentliche Ordnung verstößt, unheilbar nichtig ist, für diesen Steuerpflichtigen zum Verlust seines Rechtes auf Vorsteuerabzug führt ?
  • Lautet die Antwort anders, wenn sich die unheilbare Nichtigkeit aus der Hinterziehung der Mehrwertsteuer selbst ergibt ?
  • Lautet die Antwort anders, wenn der gesetzeswidrige Grund des Kaufvertrages, der nach nationalem Recht zur unheilbaren Nichtigkeit des Vertrages führt, in der Hinterziehung der Mehrwertsteuer besteht und die Hinterziehung beiden Vertragsparteien bekannt ist?


Erwägungen in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 14. März 2006:

  • Die erste Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuer und die 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern – gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuer-pflichtige Bemessungsgrundlage schließen es aus, einem Steuerpflichtigen, der Gegenstände erwirbt, ohne den von dem Verkäufer begangenen Betrug zu kennen, das Recht auf Vorsteuerabzug mit der Begründung zu verweigern, daß der entsprechende Vertrag mit dem nationalen Zivilrecht unheilbar nichtig ist.
  • Nichts anderes gilt, wenn der Erwerber davon Kenntnis hat, sich aber nicht beteiligt und nicht durch den Betrug bereichert
  • Beteiligt sich der Erwerber bewußt an einer derartigen Operation, die mit dem alleinigen Ziel einer Reduzierung der Steuerbelastung eingefädelt wird, und begeht er so einen Rechtsmißbrauch, so gebietet es das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, daß er das Recht auf Vorsteuerabzug verliert.


Der Generalanwalt bestätigte also zum einen die Richtigkeit der Entscheidung des EUGH vom 12. Januar 2006 in den verbundenen Rechtssachen C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ging aber zum anderen für die Konstellation des bösgläubigern Steuerpflichtigen weit über die Entscheidung des EUGH vom 12. Januar 2006 hinaus.

Der EuGH blieb für die Konstellation des bösgläubigen Steuerpflichtigen hinter dem Schlussantrag des Generalanwalts zurück und entschied wie folgt:

Art. 17 der 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern – gemeinsames Mehrwertsteuersystem: Einheitliche steuer-pflichtige Bemessungsgrundlage in der Fassung der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 ist dahin auszulegen, dass er in dem Fall, dass eine Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war, einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, wonach die Nichtigkeit des Kaufvertrages aufgrund einer zivilrechtlichen Bestimmung, nach der dieser Vertrag unheilbar nichtig ist, weil er wegen eines in der Person des Verkäufers unzulässigen Grundes gegen die öffentliche Ordnung verstößt, zum Verlust des Rechts auf Abzug der von diesem Steuerpflichtigen entrichteten Vorsteuer führt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Nichtigkeit auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem sonstigen Betrug beruht.

Steht dagegen aufgrund objektiver Umstände fest, dass die Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, so hat das nationale Gericht diesem Steuerpflichtigen den Vorteil des Rechts auf Vorsteuerabzug zu verweigern.

Dem Urteil des EuGH lagen folgende, in der Entscheidung näher konkretisierte rechtliche Erwägungen zugrunde:
Die Analyse des Begriffes einer Lieferung von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt, und des Begriffes einer wirtschaftlichen Tätigkeit zeigt, dass diese Begriffe, die nach der 6. Richtlinie steuerbare Umsätze definieren, sämtlich objektiven Charakter haben und unabhängig vom Zweck und Ergebnis der betroffenen Umsätze anwendbar sind.

Eine Verpflichtung der Finanzverwaltung, Untersuchungen anzustellen, um die wahre Absicht des Steuerpflichtigen zu ermitteln, wäre unvereinbar mit den Zielen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, Rechtssicherheit zu gewährleisten und die mit der Anwendung der Mehrwertsteuer verbundenen Maßnahmen dadurch zu erleichtern, dass, abgesehen von Ausnahmefällen, auf die objektive Natur des betreffenden Umsatzes abgestellt wird.

Erst recht unvereinbar mit den vorgenannten Zielen wäre eine Verpflichtung der Finanzverwaltung, zum Zwecke der Feststellung, ob ein bestimmter Umsatz eine Lieferung und eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, die Absicht eines von dem betroffenen Steuerpflichtigen verschiedenen, an der selben Lieferkette beteiligten Händlers und den möglicherweise von diesem verfolgten betrügerischen Zweck – den der Steuerpflichtige weder kannte noch kennen konnte – zu ermitteln.

Aus dem Vorgesagten folgt, dass Umsätze, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind, Lieferungen von Gegenständen und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Art. 2 Nr. 1, 4 und 5 Abs. 1 der 6. Richtlinie darstellen, wenn sie die objektiven Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen, ohne dass es auf die möglicherweise gegebene betrügerische Absicht eines von dem betroffenen Steuerpflichtigen verschiedenen, an der selben Lieferkette beteiligten Händlers oder den möglichen betrügerischen Zweck eines vorangegangenen oder nachfolgenden Umsatzes, den der Steuerpflichtige weder kannte, noch kennen konnte, ankommt.

Das Recht eines Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug wird nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette, zu der der Umsatz des Steuerpflichtigen gehört, ein anderer Umsatz, der dem von dem Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist, solange der Steuerpflichtige hiervon keine Kenntnis hat oder haben konnte. Dies ergibt sich daraus, dass das in den Art. 17 ff. der 6. Richtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und deshalb grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann. Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwert-steuersystem gewährleistet somit die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen. Ob die Mehrwertsteuer, die für die vorausgegangenen oder nachfolgenden Verkäufe der betreffenden Gegenstände geschuldet war, tatsächlich an den Fiskus entrichtet wurde, ist für das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug demnach nicht von Bedeutung.

Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität der Mehrwertsteuer verbietet eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften. Die Ein-stufung eines Verhaltens als strafbar führt nicht ohne weiteres dazu, dass der fragliche Vorgang nicht steuerbar ist.

Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind, müssen auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen können, ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren. Deshalb ist Art. 17 der 6. Richtlinie dahin auszulegen, dass er in dem Fall, dass eine Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war, einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen steht, wonach die Nichtigkeit des Kaufvertrages aufgrund einer zivilrechtlichen Bestimmung, nach der dieser Vertrag unheilbar nichtig ist, weil er wegen eines in der Person des Verkäufers unzulässigen Grundes gegen die öffentliche Ordnung verstößt, zum Verlust des Rechtes auf Abzug der von diesen Steuerpflichtigen entrichteten Vorsteuer führt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Nichtigkeit auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem sonstigen Betrug beruht.

Die objektiven Kriterien, auf denen der Begriff der Lieferung von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt und der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit sind dagegen nicht erfüllt, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht. Dies ergibt sich daraus, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, dass von der 6. Richtlinie anerkannt und gefördert wird. Eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht ist nicht erlaubt.

Stellt die Finanzverwaltung fest, dass das Recht auf Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise ausgeübt wurde, so ist sie befugt, rückwirkend die Zahlung der abgezogenen Beträge zu verlangen, bzw. den Vorsteuerabzug zu verweigern, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise geltend gemacht wird.

Der Steuerpflichtige, der wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, ist für die Zwecke der 6. Richtlinie als ein an der Hinterziehung Beteiligter anzusehen, unabhängig davon, ob er aus dem Weiterverkauf der Gegen-stände einen Gewinn erzielt. Denn der Steuerpflichtige geht in dieser Konstellation den Urhebern der Hinterziehung zur Hand und macht sich ihrer mitschuldig.

Das nationale Gericht hat das Recht auf Vorsteuerabzug zu verweigern, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, was auch dann gilt, wenn der fragliche Umsatz den objektiven Kriterien genügt, auf denen der Begriff der Lieferung von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt und der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit beruhen.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Art. 17 der 6. Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er in dem Fall, dass eine Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einem vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war, einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, wonach die Nichtigkeit des Kaufvertrages aufgrund einer zivilrechtlichen Bestimmung, nach der dieser Vertrag unheilbar nichtig ist, weil er wegen eines in der Person des Verkäufers unzulässigen Grundes gegen die öffentliche Ordnung verstößt, zum Verlust des Rechts auf Abzug der von diesem Steuerpflichtigen entrichteten Vorsteuer führt. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Nichtigkeit auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem sonstigen Betrug beruht. Steht dagegen aufgrund objektiver Umstände fest, dass die Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, so hat das nationale Gericht diesem Steuerpflichtigen den Vorteil des Rechts auf Vorsteuerabzug zu verweigern.

Würdigung:
Der EuGH folgt im Ergebnis der vorangegangenen Entscheidung vom 12. Januar 2006 in Sachen Optigen Ltd. (C-354/03), Fulcrum Eletronics Ltd. (C-355/03), Bondhouse Systems Ltd. (C-484/03) ./. Commissioners of Customs and Excise, präzisiert und konkretisiert jedoch in seiner Entscheidung die Anforderungen an den von der Finanzverwaltung zu erbringenden Nachweis der Kenntnis bzw. fahrlässigen Unkenntnis des Steuerpflichtigen von Betrugshandlungen innerhalb von Lieferketten.

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